Doran sah sich die Augen aus dem Kopf, aber bei der Dunkelheit vermochte er nichts Genaueres vernehmen.
Warum muss das Fell von dem Ungeheuer ausgerechnet schwarz sein, dachte sich Doran.
So musste er sich mehr auf sein Gehör verlassen und würde das Tier erst sehen können, wenn es nur noch wenige Meter von ihnen entfernt sein würde.
Wieder ein Knacken. Und dann gleich nochmal, wieder an der gleichen Stelle.
Doran korrigierte ein wenig seine Position, sodass sein Pfeil genau dorthin zielte, wo er die Geräusche gehört hatte. Mit pochendem Herzen stand er regungslos da.
Ob der Wardrak unsere Herzen spüren kann? Vielleicht freut es sich bereits auf die Nachspeise?
„WAHRSJCSCJKj.“
Mit einem gewaltigen Schrei sprang eine Bestie aus dem Unterholz aus sie zu. Sofort ließ Doran seinen Pfeil von der Sehne sausen. Er traf die Bestie mitten in einem ihrer vier Beine.
„OUHHHHHHHH.“
„WADJSHDJSHL.“
Kurz heulte das Biest auf, aber bereits nach einigen Millisekunden hatte es sich gefangen und schrie erneut mit Leibeskräften die Gefährten an. Es war wenige Fuß entfernt vor Hans gelandet. Dieser war nur wenige Fuß größer als das Biest, aber es wirkte eher so, als würde das Biest Hans um einige Fuß überragen.
Schon setzte das Biest zum Angriff an. Mit einem gewaltigen Satz und weit aufgerissenem Maul sprang es Richtung Hans, der es mit seiner Heugabel versuchte abzuwehren.
Doran war gerade dabei, seinen zweiten Pfeil in die Sehne zu legen, sodass er nicht schnell genug einen zweiten Schuss in Richtung des Biests abgeben konnte. So bekam er nur mit, wie das Biest auf Hans zuflog und in diesen hereinflog, ohne dass dieser eine Chance gehabt hatte, es abzuwehren.
Hans wurde durch den Aufprall nach hinten geworfen und brachte zum zweiten Mal an diesem Tag Doran zu Fall. Dieser wiederum stieß mit Tarek zusammen, sodass alle drei samt der Bestie zu Boden gingen.
Hans schrie vor Schmerz auf, da ihn das Biest in das Bein gebissen hatte. Dieses machte sich bereit für einen zweiten Biss, wurde aber von Sam und Berimir daran gehindert, die mit ihren Waffen auf es zielten. So wich die Kreatur zischend zurück.
Seite an Seite stellten sich Sam und Berimir auf, ja darauf bedacht, dem Ungeheuer keine Chance zu lassen, zu ihren anderen Gefährten vorzudringen. Gefährlich schnell ließ das Biest seinen Schwanz kreisen, der mit Stacheln übersehen war. Aber es schien Respekt vor seinen beiden Widersachern zu haben, ließ es doch kurz von seinem Angriff ab.
In den braunen Augen sah Sam eine Dunkelheit funkeln, die nichts als Böses im Sinn zu haben schien.
Etwas Flüssiges lief auf Dorans Bauch herab. Als er kurz seinen Blick senkte, bemerkte er das Blut, welches aus Hans Wunde auf Dorans Bauch lief. Die Wunde sah eklig gelb aus. Dorans war zum Kotzen zumute. Nicht nur wegen dem Anblick, sondern auch wegen dem Geruch, der von der Wunde ausging.
Hans stöhnte ein weiteres Mal auf. In seinen weit aufgerissenen Augen konnte man nur erahnen, was er gerade durchmachte.
Inzwischen konnten Berimir und Sam die Bestie ein wenig zurückdrängen. Das Schwert und die Mistgabel schienen dem Ungeheuer nicht recht geheuer.
Insgesamt ähnelte das Wesen am ehesten einem Wolf. Bloß war es um Einiges größer als ein Wolf, hatte einen stacheligen Schwanz und im Gegenzug zum Wolf schien es dem Wesen nicht darum zu gehen, Nahrung für das Rudel zu erbeuten, sondern den Schmerz und die Angst seiner Opfer zu fühlen.
Sam ging einen weiteren Schritt auf das wolfsähnliche Wesen zu, aber dabei verfing er sich in einer Wurzel, sodass er zu Boden fiel.
„KRASCSCH.“
Mit lautem Geschrei setzte das Biest auf den herunterfallenden Sam zu. Dieser blickte bereits dem Tode ins Auge, rief im Inneren ein letztes Stoßgebet, aber im letzten Moment, bevor sich die Zähne des Tiers in seine Kehle beißen konnten, wurde der Wardrak seitlich getroffen und zu Boden geworfen.
Ein Knäul aus zwei Körpern wälzte sich mit Gestöhne und Geschrei auf dem Boden. Währenddessen befreite sich Sam von den Wurzeln und hob seine Mistgabel auf.
Doran war bereits wieder auf den Beinen, einen Pfeil aus seinem Köcher ziehend.
Nur auf den richtigen Moment wartend, zielte Doran auf das Körperknäul. Plötzlich lösten sich Berimir und der Wardrak voneinander. Mit einem lauten Schreien war der Wardrak zurückgewichen. Berimir hatte ihn in der Seite getroffen.
Der Wardrak wälzte sich auf den Boden. Sowohl die Wunde in seinem Bein als auch die Wunde in der rechten Seite bluteten. Aber anstatt einer roten Flüssigkeit war das Blut des Tiers so schwarz wie die Nacht.
Seine Chance nutzend, schoss Doran den Pfeil ab und traf das Tier ein weiteres Mal in einem Bein.
Verflucht. Warum ziele ich heute nur so schlecht, fragte sich der Junge.
Seine Hand glitt bereits in den Köcher, aber er erntete nur Luft. Er ließ seine Hand einen Kreis im Köcher beschreiben, aber dies zauberte auch keine weiteren Pfeile herbei. Dies war sein letzter Pfeil gewesen.
Doran warf den Bogen weg und hielt Ausschau nach einer weiteren Waffe.
Währenddessen hatte sich der Wardrak gefangen und startete einen erneuten Angriffsversuch auf den alleine stehenden Sam.
Berimir war keine Hilfe mehr, da er genauso wie Hans verletzt am Boden lag. Den Riesen hatte es noch schlimmer getroffen als Hans. Viele tiefe Kratzspuren waren über den ganzen Körper verteilt und hinterließen dieselbe Farbe wie Hans Wunde.
Tarek kümmerte sich um den verletzten Hans, sodass als Kämpfer nur Sam überblieb, der mit seiner Mistgabel tapfer die Stellung hielt.
Aber Sam wusste bereits, dass er mit so einer Waffe nichts gegen das Biest ausrichten könnte. Einem ersten Angriffsversuch konnte er noch ausweichen, doch schon beim zweiten Angriff wurde er von dem spitzen Stachel getroffen und zu Boden geworfen.
Verzweifelt intensivierte Doran seine Suche nach einer Waffe.
„Nimm mein Schwer“, rief ihm Berimir entgegen.
Mit aller Kraft, die der Riese bei seinen Verletzungen aufbringen konnte, schleuderte er das Schwert in Dorans Richtung. Mit einer tänzelnden Bewegung hob er es vom Boden auf und rannte dem Ungeheuer entgegen.
Schon im Lauf wurde ihm bewusst, was für ein Gewicht das Schwert hatte. Es drückte ihn wahrlich zu Boden, so schwer war es.
Wie soll ich denn mit so einem Stein kämpfen, dachte der Junge.
Trotz des viel zu schweren Gewichts blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seinem Schicksal zu fügen und mit dem Schwert zu kämpfen, da es keine ernstzunehmende Alternative als Waffe gab.
Der Wardrak musterte seinen neuen Gegner mit kreisendem Schwanz. Ganz langsam bewegte es sich auf Doran zu. Mit jedem Schritt hörte Doran deutlich, wie die Blätter auf den Boden in die Erde gedrückt wurden.
Die stoßartigen Atemzüge des Wesens wehten einen beißenden Geruch in Dorans Nase. Er versuchte nicht daran zu denken, gleich nähere Bekanntschaft mit den Zähnen oder den Stacheln des Tieres zu machen, sondern dachte an die vielen Kampfesübungen mit Miranda, die seine Kampfesfertigkeiten geschult hatten.
Machte dieses Wesen denn niemals schlapp?
Aus den Wunden der Bestie tropfte Blut, aber das schien den Hass in dem Wardrak nur noch zu verstärken.
Die beiden Kämpfenden standen sich nur noch wenige Fuß voneinander entfernt, keiner bereit, den ersten Angriff zu starten.
Fast schien es, als würde sich die Kreatur zurückziehen, aber wie aus heiterem Himmel schoss es plötzlich auf Doran zu, der die Bewegung gerade so wahrnehmen konnte.
Instinktiv machte er eine Drehung zur Seite und ließ dabei das Schwert fallen, welches scheppernd zu Boden fiel. Sein Reflex hatte ihn das Leben gerettet. Um Haaresbreite hatte ihn das Maul der Bestie verfehlt.
Ohne Schwert in der Hand fühlte sich Doran deutlich unsicher und er wollte gerade einen Schritt Richtung seines Schwertes machen, doch wie als würde sie seine Gedanken lesen können, sprang der Wardrak zwischen ihn und das Schwert.
Dann kam es langsam näher zu Doran. Dabei zischte es unentwegt vor Vorfreude.
Hektisch schaute sich Doran um, aber es gab nichts in Reichweite, das ihm als Waffe dienen konnte.
Wenn es dich gibt, Allmächtiger, brauche ich dich jetzt, rief er seinen Gott um Hilfe.
Das Biest machte sich zum Sprung bereit. Doran schloss seine Augen. Er hörte, wie das Biest vom Boden abhob.
„Zischhhhhhhh.“
„KSENSAJKNSKMk.“
Zwei Geräusche, unmittelbar hintereinander, schossen durch die Nacht.
Doran hatte seine Augen weiterhin zusammengekniffen. Sein ganzer Körper war verkrampft.
Bin ich etwa tot oder warum spüre ich keinen Schmerz.
Vorsichtig öffnete der Junge seine Augen. Aber anstatt hellem Licht oder etwas anderem Himmlischen war er immer noch im Wald.
Vor ihm lag regungslos die Kreatur. In ihrem Herz steckte ein Pfeil.
Vorsichtig robbte Doran auf das Tier zu. Bei dem Tier angekommen, fühlte er mit der Hand nach dem Puls.
Nichts. Das Wesen war tot.
Eine riesige Welle der Erleichterung durchfuhr seinen Körper. Er dankte zehnmal dem Allmächtigen und nahm sich fest vor, zuhause ein Fest zu Ehren seines Gottes zu halten.
Als er sich den Pfeil im Herzen des Biests genauer besah, stockte sein Herz.
Wie war das möglich, dachte er.
Mit dieser Sorte Pfeil hatte er sein Leben lang trainiert, was bedeutete, dass Miranda den Pfeil abgeschossen haben musste.
Hoffnung breitete sich in ihm aus, dass es ihr gut gehen würde.
Noch kurz hing sein Blick an dem Wardrak. Schließlich riss er seinen Blick weg und schaute zum ersten Mal wieder nach oben.
Dort erblickte er, zwanzig Meter von ihm entfernt, seine Freundin. Mit entspannter Haltung stand sie dort, zwischen zwei Bäumen. In der einen Hand den Bogen, die andere Hand war frei.
Ihr Hemd war zerrissen, genauso die Hose, aber am Blick ihres Gesichtes erkannte Doran, dass es ihr gut gehen musste.
Frech grinste sie in seine Richtung, den einen Mundwinkel so hoch gezogen, dass es wehtun musste. Ihr Haar war kreuz und quer verstreut, ohne jegliche Ordnung.
„Miranda“, schrie Doran ihr entgegen und stürmte auf sie zu.
Ohne auf ihre Reaktion zu achten, riss er sie an sich und drückte sie so fest er konnte. Sein Herz pochte wie wild, als würde es ihm gleich aus der Brust springen.
Ein Lachen durchfuhr seinen Körper. Ein wildes, müdes, hysterisches Lachen.
Aber Miranda antwortete nicht. Nicht mal ein kurzes Zucken war ihre Reaktion.
Verwundert ging Doran ein wenig mit dem Kopf zurück, um ihr Gesicht nach Anzeichen von einem Lachen oder etwas anderem abzusuchen.
Miranda hatte die Augen geschlossen.
Erst jetzt wurde Doran das Klebrige in seinen beiden Händen bewusst. Seine Hände waren klebrig, warm. Ein übelerregender Gestank schlich sich in seine Nase.
Angewidert zog er seine Hände von Mirandas Rücken zurück. So wie er seine Hände zurückgezogen hatte, fiel das Mädchen nach hinten. Im letzten Moment konnte der Junge sie vor einem Aufprall bewahren.
Nachdem er sie wieder aufgefangen hatte, legte er sie behutsam auf die Äste und Blätter.
Dann besah er sich ihren Rücken.
Was er sah und roch, jagte ihm eine Gänsehaut hinunter.
Ihr ganzer Rücken schien aus einer einzigen Wunde zu bestehen, die ununterbrochen blutete. Wie bei Hans hatte sich die Wunde zu einer gelblich, klebrigen Masse verformt, die nach Verwesung stank.
Unter und hinter Miranda war eine kleine Blutlache, die sich gelblich verfärbt hatte.
Nach Hilfe suchend blickte Doran zu den anderen. Was er sah, entmutigte ihn noch mehr.
Berimir lag genauso wie Sam und Hans auf dem Boden, alle aus verschiedenen Stellen an ihrem Körper blutend.